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Das Leben

Heute Morgen war meine Laune am Nullpunkt angekommen, ich wollte am besten keinen sehen, hören, spüren ... aber wahrscheinlich kommen momentan viele Menschen an diesen Punkt. Nach zwei Wochen in den eigenen vier Wänden, mit manchem Spaziergang um die Kinder zu lüften ist irgendwann die Luft draußen.


So klinkte ich mich heute Vormittag einfach mal für zwei Stunden aus dem familiären Umfeld aus und begab mich alleine auf einen Spaziergang.


In den ersten fünfzehn Minuten piepste noch ab und zu mein Handy, bis ich es entgültig auf lautlos schaltete. Ich wollte einfach mal keine Nachrichten und neuesten Zahlen hören, keinen weiteren Tip zur Kinderbeschäftigung bekommen, kein weiteres Rezept, welches ich nachkochen könnte lesen und auch kein "Wie geht es dir?" beantworten - ich wollte nichts.


Aber es reichte nicht das Handy auszuschalten, denn das Gedankenkarusell im Kopf abzustellen war bei weitem schwieriger. Ich habe jetzt nicht das Gefühl, dass wir eine Familie sind, welche aufgrund der Corona Krise  in tiefe Abgründe stürzt. 


Wir haben eine relativ sichere Wohnmöglichkeit, Florians Arbeitsstelle ist im Vergleich mit anderen in der momentanen Situation auch beneidenswert sicher. Es müssen keine Kredite zurückgezahlt werden. Wir sind alle gesund und haben keine chronischen oder schwereren Erkrankungen. Obwohl wir zu fünft sind haben wir überdimensional viel Platz zur Verfügung und die Möglichkeit nach draußen zu gehen. Für all das sind wir momentan auch zutiefst dankbar!


Und trotzdem sind viele Gedanken im Kopf, die zwar nicht dauernd präsent sind, aber doch immer wieder durchbrechen - vor allem offene Fragen, die gerade keiner beantworten kann.

Wie geht das alles weiter?

Was wird uns die Zukunft bringen?

Was wird sich alles verändern?

Wie geht es mit der Schule der Kinder weiter?

Wie wichtig ist es, jetzt überhaupt auf viel Lernerei zu achten?

Was brauchen unsere Kinder womöglich jetzt viel nötiger?

Was macht diese Krise mit uns und unseren Kindern?

Was können wir daraus mitnehmen?

Wie schaffen wir es alle gut durch diese Zeit?


All das nun einmal aus dem Kopf zu bekommen wäre schön. Auf dem ersten Stück Weg erschien es mir auch schier unmöglich, ich holte immer wieder das Handy heraus um etwas nachzusehen, etwas aufzuschreiben, das ich nicht vergessen sollte. Aber die Abstände wurden merklich länger, die Gedanken begannen sich zu verlangsamen und die Sinne in das Hier und Jetzt abzuschweifen.


Da lenkte ein gelbes Flattern den Blick auf sich - ein Zitronenfalter. Ein paar Schritte weiter steigt der Duft von einem frühlingshaft blühendem Busch in meine Nase. Ich höre den Specht klopfen und ein Reh davon huschen. Ich spüre die warme Sonne am Rücken und ziehe die Jacke aus - mit ihr lege ich wieder ein paar mehr Gedanken ab, so scheint es mir.


Weiter geht es über einsame Straßen zwischen Feldern und sonst ist hier nichts. Wohltuende Stille, Wärme und einfach dahin laufen. Denn auch die Bewegung tut gut. Den Körper zu bewegen, durchzuatmen, frische Luft aufzunehmen. Dann tauche ich auch schon in den nächsten Wald ein, der sich erwärmende Waldboden riecht schon fast nach Sommer, die Blumen sprechen vom Frühling, es ist so ruhig, dass ich immer wieder Tiere huschen sehe. Ich entdecke im Vorbeilaufen einen Ameisenhaufen an einem morschen Baumstumpf und siehe da, dort tummeln sich die fleißigen Tierchen und mir kommt die Erkenntnis, die Welt steht gar nicht still - die Menschheit tut es! Vielleicht um gerade dafür unsere Augen zu öffnen, was es da draußen sonst noch gibt.


Ich glaube, in diesem Jahr nehmen um einiges mehr Menschen viel intensiver den Frühlingsbeginn wahr als sonst. Wenn ich mit den Kindern in den letzten Tagen im Wald war, begegneten uns immer bei weitem mehr Menschen und Familien als früher. Immer wieder treffe ich beim Spazieren Leute mit einem Blumenstrauß oder ein paar blühenden Zweigen in der Hand.

Aber klar, wenn man normalerweise von 8 - 17 Uhr in einem Büro sitzen muss, hat man  abends und am Wochenende anderes vor, als in den Wald zu gehen oder einen Spaziergang durch die Landschaft zu machen. Man trifft abends Freunde, besucht ein Konzert, geht einem Sport nach, am Wochenende fährt die Familie in einen Indoorspielplatz oder Tierpark, oder man hetzt zum Einkauf oder anderen wichtigen Erledigungen.


Nun plötzlich haben wir alle Zeit und alles ist geschlossen. Einzig die Natur mit den weiten Flächen von Wald und Wiesen bietet uns Ausgleich, Ablenkung und Freiraum.

Menschen welche sonst nie spazieren gehen, trifft man nun am vertrauen Waldweg und sie fragen mich, ob ich weiß, wie diese schöne gelbe Blume heißt - das wunderschöne, glänzende Scharbockskraut. Als ich dann noch zu erzählen weiß, dass die Blätter dieser Pflanze sehr gesund, weil Vitamin C haltig sind - allerdings nur genießbar bis zur Blüte, weil die Blätter dann einen Giftstoff einspeichern. Dann ist dieser Mensch plötzlich fasziniert was die Natur sich alles einfallen lässt.


Es gibt so vieles zu entdecken, wenn man mit offenen Augen und Ohren durch die Natur wandert, die blühende Pracht im Frühling hilft uns vermehrt Neues zu entdecken und uns zum Staunen zu bringen.


Als ich nach meinem Spaziergang wieder heimkam, bepackt mit Holzscheiben, welche ich gefunden hatte - für welche ich eine Verwendung für ein neues Wald- und Kräuterpädagogisches Spiel habe, war ich wieder geerdet. Das Gedankenkarussell eingebremst und meine Unruhe habe ich draußen im Wald gelassen.


Schließlich stieg ich noch zur Nistkastenkontrolle in die Schlosstürme hoch und bekam eine kleine Überraschung präsentiert. Die Falken haben bereits zwei Eier gelegt - nein die Welt steht nicht still. Das Leben geht weiter!

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Kommentare: 2
  • #1

    Judith (Sonntag, 29 März 2020 10:19)

    Auf den Punkt gebracht! Wunderschöner Text! Danke � Manu!

  • #2

    Daniela (Samstag, 04 April 2020 14:29)

    Sehr schön geschrieben, als ob man mit dir mitgeht. Danke für diesen Moment!